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"Lust auf Zukunft?"
Kunstraum Innsbruck Summer School 2022
Workshop von 8. - 10.07.2022 mit Time's Up

Herzlichen Dank an Tina & Tim von Time's Up für diese inspirierenden Tage!

Eine Zusammenfassung des Workshops findet ihr hier:

https://loosediary.wordpress.com/2022/07/20/einmal-mehr-ein-hoch-auf-den-moglichkeitssinn/

Und hier geht's zu den Fotos:

https://www.flickr.com/photos/times_up/albums/72177720300558238

Ein neuer perfekter Tag

Es war acht Uhr achtundfünfzig, als sich die Tür zur perfekt auf Coby Auwiieqs individuelle Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen an die Zukunft abgestimmte Wohneinheit öffnete und ein weiterer perfekten Tag in einer perfekten Welt langsam in den Abend überging. Du hast der Welt heute vierzehntausend- sechshundertvierunddreissig Joule an Energie geschenkt, teilte ihm die vertraute Stimme des Alter Egos in seinem Kopf mit. Erst vor wenigen Jahre hatte man begonnen, Geld durch Joule als Bemessungsgrundlage für die Bewertung von Arbeit zu ersetzen. Zwar existierte im Untergrund weiterhin eine Geldwelt, die sich aus versprengten Gruppen von Kapitalisten zusammensetzte, viele von ihnen ehemalige Banker, Trader oder Hedgefund Manager, die alles versuchten, sich dem dafür notwendigen chirurgischen Eingriff, der im Grunde eine Bagatelle war, mit der Berufung auf irgendwelche nebulöse Grundrechte zu entziehen. Aber dieser Widerstand war irrelevant, so schlagend war der Erfolg der Maßnahme gewesen. Denn im Gegensatz zu Geld fehlte Joule eine wesentliche Eigenschaft: Es ließ sich nicht von einem Individuum zum anderen übertragen.

Wirtschaft ohne Geld

A brief compendium

Die Idee einer geldloser Wirtschaft hatte sich auch nach Erfindung des Geldes nie ganz aus dem Bewusstsein der Menschheit verabschiedet. Nach einer kurzzeitigen Begeisterung über die Annehmlichkeiten einer scheinbar neutralen Tauschgutes, mit dessen Hilfe man Dingen einen Wert zuschreiben oder wenigstens Begehrlichkeiten beziffern konnte, war spätestens seit Einführung der Verzinsung von Kapital Ernüchterung eingetreten: Verschärft durch die Pauperisierung arbeitender Massen und die Konzentration der Finanzmittel auf einige wenige, riesige Industriemagnaten hatten ab dem 19. Jahrhundert immer wieder, zum teil sogar maßgebliche Ökonomen Theorien entwickelt, um die scheinbar unvermeidbare Anhäufung von Kapital in den Griff zu bekommen. Der radikalste Ansatz - nämlich die Abschaffung des Geldes - war allerdings, sowohl aufgrund technologischer Defizite als auch politischen Unwillens, nie über den Status einer Utopie hinausgekommen. Seit ausgerechnet der damalige U.S. Präsident Richard Nixon in den 1970er Jahren ein bedingungsloses Grundeinkommen forderte, weniger um die zahlreichen Beiträge von Individuen zu einer lebenswerteren Gesellschaft zu honorieren als den schwächelnden Konsum in einer unter anderem vom Vietnamkrieg ausgemergelten Wirtschaft anzukurbeln, hatten sich Wirtschaftswissenschaften und Politik auf die Frage nach der gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen beschränkt. Es war allerdings der bahnbrechende Essay von Puacewiw, Gjeoe und Frie "Beyond Assets. Principles of Exsolvency" (2025), in dem die drei Autorinnen erstmals ihre Theorie zur alternativen Organisationsprinzipien komplexer Wirtschaftskreisläufe konkret formulierten. "Beyond Assets" enthielt bereits viele Gedanken ihrer späteren Klassiker "Economies without Money" (2029) und "What is Work? Re-Thinking Macroeconomics" (2033) und lieferte den Grundstein für die neue Wirtschaftsordnung.

Jeder Humanoid erhielt also die Energie, die er verbraucht hatte, automatisch zurück. Das gestaltete sich zunächst recht kompliziert. Festzustellen, wieviel Energie jemand verbraucht hatte, war noch das geringste Problem: Auch wenn die von ihnen gelieferten Daten fragmentarisch und ihre Aussagekraft somit relativ gering erscheinen, waren es dennoch die Smartwatches der großen Technologiekonzerne zu Beginn dieses Milleniums, die wir rückblickend als wesentliches Element für den Big Bang jener Welt bezeichnen dürfen, in der wir heute leben dürfen. Auch wenn das Maß geleisteter Arbeit noch durch Näherungsparameter wie zurückgelegte Schritte im physischen Raum bestimmt wurde und die für eine Wissensgesellschaft bestimmende Dimension intellektueller und schöpferischer Leistungen ausgeklammert war, ganz zu schweigen davon, dass es zwar Plattformen gab, bei denen Menschen ihre Leistungen vergleichen konnten, es aber lange keine Möglichkeit gab, die Qualität eines Outputs zu bestimmen. Erst als Strava, ursprünglich ein soziales Netzwerk zum Tracking von sportlichen Aktivitäten, mit dem neurokalorischen Startup QCal gemeinsame Sache machte und 2029 bei der kurzlebigen aber überaus einflussreichen SXL - sie galt eine Zeitlang als der Meetingplace unter Technogeeks und Autokraten gleichermaßen - eine Working Beta ihres "Agent Astra", sozusagen das pluripotente Template aller heute auf unserem Planenten existierenden KIs der Arborum-Klasse, präsentierte, entstand das notwendige Momentum.

Zitate

"Indem wir den Wert der Menschen nicht mehr daran bemessen, was sie an Vermögen besitzen oder an Output leisten, wieviele Stunden sie arbeiten oder was dabei herauskommt, sondern uns darauf konzentrieren, wieviel Energie sie dabei verbrauchen, haben wir eine objektive Basis dafür, was der Beitrag jedes Individuums zum Gemeinwohl ist."
Timea Queoatek und Ogreow Nmqoe
Spokespeople, the ABEL (1) Network

"Mit der Joule-Initiative haben wir zweifellos einen der wichtigsten Quantensprünge vollbracht, den es je gab. Die Abschaffung des Geldes und die Einführung von Joule war vielleicht der entscheidende Schritt für den Fortbestand humanoider Spezien auf unserem Planeten."
Filomena Ocasio-Cortez (2)
POTUS

 

(1) American Biological Energy Lab
(2) Geboren 2024. Jüngste und letzte Präsidentin in der Geschichte der USA vor Abschaffung der Nationalstaaten 2067. Tochter von Alexandria Ocasio-Cortez. Politik ist auch 2047 dynastisch organisiert, vielleicht mehr denn je.

(c) Johannes Schwaninger 2022 

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